
Traumatische Geburtserlebnisse (an) erkennen und verarbeiten
Unabhängig davon, wie intensiv du dich auf die Geburt vorbereitet hast - wahrscheinlich wirst du die Erfahrung machen, dass sich dieses große Ereignis nicht wirklich bis ins letzte Detail planen lässt. Selbst im optimalsten Setting kann eine Geburt anders verlaufen als erhofft, manchmal lässt dich der Verlauf der Geburt einfach nicht los, du fühlst dich verloren, machtlos, verletzt! Vieles lässt sich nicht vorausahnen und wie überwältigend eine Geburt ist sowieso nicht. Auch eine scheinbar ganz unkomplizierte und schöne Geburt ist ein großes Ereignis in deinem Leben, das du erst einmal verarbeiten musst. Eine Grenzerfahrung, die dich für immer verändern und dein Leben lang begleiten wird. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, sich dieser Erfahrung und den damit verbundenen Gefühlen zu stellen - früher oder später, wann auch immer du dich dazu bereit fühlst.
Wir haben dir eine Vorlage erstellt, die du als Wegweiser für die Verarbeitung deiner Geburt nutzen und kostenfrei herunterladen kannst.
VORLAGE FÜR NOTIZEN ZUM DOWNLOAD
Egal ob die Geburt wunderschön war oder nicht so wie erhofft. Die erste Strategie zur Bewältigung aller Gefühle ist das, was viele, wenn das Umfeld passt, instinktiv automatisch tun: darüber reden!
Immer wieder erzählen, die aufkommenden Gefühle zulassen (so heftig sie auch sind), damit der Schrecken „rausgeweint“, „rausgezittert“ oder auch „rausgeschimpft“ werden darf. Bei jedem Erzählen werden die fragmentierten Erinnerungen mit Kontext angereichert und somit immer mehr zu einer Geschichte geformt. Viele beschreiben das so, dass es mit jedem Mal Erzählen ein Stück „realer“ wird. Vor allem in den ersten acht Wochen passiert sehr viel von diesem Integrationsprozess und das Reden darüber ist sehr empfehlenswert. Auch aktive Rekonstruktionen der Ereignisse, z.B. in Nachgesprächen mit (beteiligten) Hebammen oder Ärzt*innen können sehr hilfreich sein. Im Krankenhausalltag ist dies leider oft nicht umsetzbar. Wenn es dir aber ein Bedürfnis ist, solltest du um einen Gesprächstermin bitten. Es ist wichtig, dass du dein Geburtserlebnis gut verarbeiten kannst. Ein Gespräch mit den Beteiligten ist ein wesentlicher Schritt dahin. Es ist auch dein Recht, dir die schriftlichen Unterlagen zu deiner Geburt in Kopie aushändigen zu lassen. Das ist oft hilfreich, um den Geburtsverlauf mit der Nachsorgehebamme noch einmal durchgehen zu können. Manchmal gestaltet sich die Aushändigung des Geburtsberichtes etwas schleppend. Das kann am Personalmangel oder an möglichen Konsequenzen liegen, sollte dich aber nicht abhalten, auf dein Recht zu beruhen.
Viele Dinge können bei einer Geburt geschehen: Manchmal muss nach langer Wehenarbeit ein eiliger Kaiserschnitt gemacht werden oder dein Baby liegt erst einmal auf der Neonatologie statt in deinen Armen. Eingriffe, Verletzungen und das Gefühl alleine zu sein können unter der Geburt traumatisch wirken. Für viele Frauen ist es besonders schlimm, wenn sie in Geburtsentscheidungen nicht einbezogen oder Notfallsituationen hinterher nicht angemessen (nach-) besprochen werden. Was dabei als traumatisch empfunden wird, kannst ganz alleine nur du entscheiden. Eine Situation wird von außen immer anders betrachtet wie von dir selbst. In Deutschland erlebt jede 10. Frau ihre Geburt als traumatisch und jede 4. Frau erlebt eine Geburt, die sie sich so nicht vorgestellt hat. Das ist wirklich viel und wenn du betroffen bist, bist du absolut nicht alleine damit.
Bis sechs Monate nach einem traumatischen Erlebnis speichert das Gehirn beim Erinnern und Erzählen noch Alarmanlagen ins Langzeitgedächtnis um, danach verändert sich üblicher Weise ohne traumatherapeutische Hilfe leider nicht mehr viel. Die Verarbeitung der Geburt verläuft typischerweise in 3 Zyklen: meist rund 3-4 Wochen nach der Geburt, dann nochmal 6 Monate postpartum und in der dritten Phase bei einer erneuten Schwangerschaft.
Ohne eine Verarbeitung bleiben die einmal empfundene Angst und andere Belastungssymptome weiter bestehen, obwohl das Erlebte längst vorbei ist und das Kind sicher in deinen Armen liegt. Väter haben übrigens die gleichen Gefühle nach kritischen Geburten, bei denen sie Angst um Mutter und Kind haben mussten. Eine gute Möglichkeit für euch als Team ist, dass du deine*n Partner*in bittest, die Geburt aus seiner oder ihrer Sicht aufzuschreiben. Hierfür gibt es auch nicht den richtigen oder falschen Zeitpunkt. Schau, was für dich persönlich passt, aber nimm dir genügend Raum dafür, gerade wenn die Geburt dich im Nachhinein sehr beschäftigt.
Deine Hebamme kann dir sagen, welche Möglichkeiten einer traumatherapeutischen Unterstützung es gibt. Scheut euch bitte nicht davor, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn du unangenehme Folgen des Geburtserlebnisses erst nach vielen Wochen oder Monaten spürst. Erlaube dir, alle mit der Geburt verbundenen Gefühle herauszulassen. Tränen der Freude und Tränen der Trauer fließen manchmal dicht beieinander.
Wenn du keine Hebamme hast oder dich nicht traust, deine Gefühle persönlich mit ihr zu besprechen, gibt es die Möglichkeit, über das Hilfetelefon Schwierige Geburt erste Schwere loszuwerden und die wichtigsten Fragen zu besprechen. Ein gutes Buch zum Thema ist Nachwehen vom Kösel Verlag. Bei Bauchgeburten oder wenn dir aus medizinischen Gründen das erste Bonding verwehrt wurde, hat sich die Durchführung eines Bondingbads bewährt. Das kannst du mit deiner Hebamme, deiner Mütterpflegerin oder deinem*r Partner*in durchführen. Ostheopathie oder Cranio-Sacral-Therapie für dich und dein Baby können ergänzend hilfreich sein.

Bindungsbad für die Seele
Die Hebamme Brigitte Meissner hat ein heilsames Baderitual entwickelt, um traumatische Geburtserlebnisse auszugleichen und eine Bindungsunterbrechung wiederherzustellen. Das Ritual kann beliebig oft wiederholt werden (selbstverständlich auch nach dem Wochenbett). Und so geht´s:
Schaffe dir eine warme und gemütliche Atmosphäre (abgedunkelter Raum, Kerzen, Lichterkette) und lege dich bequem mit freiem Oberkörper ins Bett. Deinen Oberkörper kannst du mit einem großen Badetuch bedecken, bis dein Baby zu dir kommt. So wird dir nicht kalt und das Tuch wird schonmal vorgewärmt. Dein*e Partner*in, Hebamme oder Mütterpflegerin badet dein Baby direkt daneben in einer kleinen Wanne oder einem Badeeimer mit Blickkontakt zu dir. Sobald du bereit bist, wird dir dein Baby überreicht. Dann nimmst du dein warmes, nacktes und noch nasses Baby auf die Brust (eventuell sogar durch die Beine gereicht, um den vaginalen Geburtsprozess nachzuspielen), zugedeckt von einem kuscheligen Handtuch. Vielleicht hast du deinem Baby etwas zu erzählen, vielleicht erzählt auch dein Baby dir etwas. Vielleicht weint dein Baby erstmal, vielleicht möchte es gleich stillen. Alles ist okay, auch wenn dein Baby sich erstmal "ausweint".
Das Heilbad kann Freude über das wundervolle Kind in deinem Arm freisetzen, aber auch Tränen um das Geburtserlebnis. Bespreche mit der Person, die dabei ist, was du in diesem Moment brauchst oder aufarbeiten möchtest. Möchtest du mit deinem Baby alleine sein, brauchst du Begleitung? Kuschel mit deinem Baby, so lange es dir guttut. Einschlafen erlaubt! Tipp: dein Baby sollte satt, aber nicht vollgefuttert sein, ebenso wie du. Gehe nochmal zur Toilette, dass du das Kuscheln ganz entspannt genießen kannst.
Folgende Organisationen und Hilfsangebote solltet ihr kennen:
Hilfetelefon Schwierige Geburt - erreichbar unter der 116016
Hilfetelefon Schwierige Geburt - erreichbar unter der 022892959970
UN Women - for all Women and Girls
MotherHood e.V. - für sichere Geburten und die Rechte von Frauen und Familien
Bmbfsfj - Bundesministerium für Familie, Frauen und Jugend
Pro Familia - gibts in jedem Stadt-Landkreis
Für betroffene Frauen gibt es den internationalen Gedenktag - Roses Revolution Day um an Gewalt unter der Geburt aufmerksam zu machen. Betroffene können eine Rose an dem Ort ablegen, an dem sie Gewalt erfahren haben. Mehr dazu findest du unter Roses Revolution.



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