Wie dein Körper und dein Baby im Dialog die Geburt gestalten
Die Geburt eines Kindes ist ein großes Abendteuer. Sie ist eine große Unbekannte, voller Aufregung, Verwunderung über den eigenen Körper und manchmal auch voller Ängste. Geburt ist eine Grenzerfahrung - sie ist intensiv auf allen Ebenen und dein Körper leistet harte Arbeit. Wie sich deine Wehen genau anfühlen werden und wie gut du mit ihnen klarkommst, bleibt rätselhaft, bis es soweit sein wird. Wenn wir von Wehen sprechen, neigen wir dazu, sie als bloße Schmerzen und Herausforderungen zu verstehen, durch die "wir halt durch müssen". Doch in Wahrheit sind sie Ausdruck eines komplexen, intelligenten Prozesses, bei dem dein Körper und dein Baby in Harmonie zusammenarbeiten.
Die Drehbewegung der Gebärmutter
Die Gebärmutter bewegt sich nicht zufällig, sondern in einer koordinierten Drehspirale – fachlich Dextrorotation, auch Rechtsdrehung genannt. Hierbei arbeiten die drei Schichten der Gebärmuttermuskulatur (longitudinal, zirkulär, schräg) in synchroner Abfolge. Diese Spiralbewegung hilft deinem Baby, sich durch die sogenannten Cardinal Movements zu bewegen. Diese Geburtsdrehungen bezeichnen die präzisen, aufeinanderfolgenden Lage- und Bewegungsänderungen, die der Kopf und der Körper eines Babys während der Geburt vollziehen müssen, um durch das mütterliche Becken zu gelangen.
Molekulare Signale zum Geburtsbeginn
Wehen werden durch ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Immun- und Entzündungssignalen ausgelöst. Studien zeigen, dass der Beginn der Geburt ein Zusammenspiel vieler Prozesse ist. Hormone wie Progesteron verlieren lokal ihre Wirkung, während Östrogene und Prostaglandine die Gebärmutter auf Aktivität vorbereiten. Gleichzeitig verstärken entzündliche Botenstoffe (z. B. IL-1β) die Wehentätigkeit. Von der Plazenta und den reifenden fetalen Lungen kommen zusätzliche Signale. Auch die Zervix beginnt frühzeitig durch u.a. Enzyme zu reifen. Mechanische Dehnung des Uterus, zelluläre Alterungsprozesse der Eihäute und die steigende Empfindlichkeit auf Oxytocin tragen weiter dazu bei. Nachts unterstützt Melatonin die Oxytocinwirkung – ein Grund, warum viele Geburten im Dunkeln beginnen. Spannende Worte zum Thema Oxytocin findet Michel Odent.
Jede Wehe erzählt ihre eigene Geschichte
Während der Geburt verändern sich deine Wehen in Häufigkeit, Intensität und Dauer – nichts davon geschieht zufällig. Sie sind Teil eines zielgerichteten Dialogs zwischen dir, deinem Baby und deinem Gehirn und einem komplexen, natürlichen Prozess deines Körpers.
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Vorwehen oder auch Scanning-Wehen: Treten in den letzten Wochen vor der Geburt auf, meist stärker als Braxton-Hicks. Dienen u. a. der Zervixreifung.
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Eröffnungswehen: Regelmäßig, kräftig, führen zu einer fortschreitenden Muttermundseröffnung. Beginn der eigentlichen Geburt.
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Übergangswehen, praxisorientiert auch Positionierungs-oder Rotationswehen: Sehr intensive Phase kurz vor vollständiger Muttermundseröffnung. Häufig verbunden mit Zittern, Übelkeit oder dem Gefühl, „nicht mehr zu können“. Sie sind intensiv, unregelmäßig – sie helfen dem Baby, in die richtige Position zu finden und bündeln sich dann zu mehreren Wehen für besonders kraftvolle Dreh- und Geburtsbewegungen.
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Austreibungswehen: Treten auf, wenn der Muttermund vollständig eröffnet ist. Unterstützen den Pressdrang und die Geburt des Babys.
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Nachgeburtswehen: Lösen die Plazenta und fördern die Blutstillung durch Kontraktion der Gebärmutter.
Wenn die Wehen pausieren – ein kluger Zeitpunkt
Eine Wehenpause ist in der Regel keine Störung, sondern ein bewusstes Innehalten deines Körpers – um sich neu zu justieren, besonders bei möglichen Hindernissen wie Stress oder ungünstiger Position des Babys. Diese Ruhe kann sogar äußerst kraftvolles Geburtshandeln nach sich ziehen. Unterstützend wirken in dieser Phase Massagen, Rebozo, sanftes Atemtraining, Meditation und Erholung.
Körper in Ausrichtung, Baby in Bewegung
Neben all dem Vertrauen, Loslassen, der Entspannung und Hingabe ist auch die Bewegung und Aktivität ein wichtiger Aspekt, der die Geburt günstig beeinflusst. Einen entscheidenden Einfluss auf die Geburt kannst du mit der Wahl verschiedener Körperhaltungen nehmen. Es gibt verschiedene Haltungen, in denen die Wehen besser auszuhalten sind und die sich effektiv auf den Geburtsprozess auswirken. Dabei kann dich deine Hebamme anleiten, du verschiedene Hilfsmittel im Kreißsaal nutzen und für dich herausfinden, welche Positionen für dich gut anfühlen. In der Doulaarbeit gibt es den Begriff "Optimal Maternal Positioning (OMP)". OMP umfasst gezielte Übungen, Bewegungen, Massagen und Rebozo-Techniken, die bereits in der Schwangerschaft Verspannungen lösen und das Becken mobilisieren. Im Geburtsverlauf helfen OMP-Positionen (aufrecht, kniend und kauernd), den Raum im Becken zu vergrößern – das unterstützt nicht nur den Fortschritt der Geburt, sondern auch die emotionale Verbundenheit und das Wohlbefinden von Mutter und Partner*in. Durch OMP lassen sich herausfordernde Lageverhältnisse (z. B. Hinterhaupt-) reduzieren, die Geburt wird leichter und erwiesenermaßen auch kürzer.

Was ist Optimal Maternal Positioning?
1. Raum statt Baby-Fokus: OMP legt den Schwerpunkt nicht auf die Positionierung des Babys (wie bei OFP), sondern darauf, Raum im Becken der Mutter zu schaffen – damit das Baby während der Geburt leichter navigieren kann. Die Mutter wird dabei als aktiver Teil im Geburtsprozess verstanden, nicht als statischer Rahmen.
2. Die „Heißluftballon“-Metapher: Ein passendes Bild: Der Uterus ist wie ein Heißluftballon, der Beckenboden das Körbchen – verbunden durch Bänder und Faszien als Schnüre. Bleibt dieser Ballon stabil gezogen und im Gleichgewicht, kann sich der Kopf des Babys optimal bewegen und durch das Becken absteigen.
3. Ganzheitliche Technik-Sammlung: OMP vereint ein weites Spektrum an Methoden, die in Schwangerschaft und Geburt angewendet werden können – individuell kombinierbar, je nach Situation und Körperempfinden. Typische Elemente wie Bewegung, Dehnungen, Massage und Rebozo-Techniken, Haltungsänderungen und spezifische Positionen zielen darauf ab, muskuläre Spannungen zu lösen, Gelenkbeweglichkeit zu fördern und die Beckenmuskulatur zu lockern – für mehr Geburtskomfort und Fortschritt.
4. Gezielte Positionen für aktive Geburt: Unter OMP werden bestimmte Gebärpositionen empfohlen, die den natürlichen Geburtsablauf unterstützen. Beispiele:
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Stehend in Vornelehnen‑Position: eine Aufrechte Körperhaltung gewährleistet eine gute Blutzirkulation zwischen Mutter und Baby, fördert stärkere Wehen und die Mitarbeit der Schwerkraft
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Sitzen auf Gymnastikball oder Gebärhocker (fördert Beckenmobilität)
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Knien oder Vierfüßlerstellung (mit Hüft-/Kniewinkel von etwa 90°, öffnet das Becken und schafft Raum für das Baby)
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Seitlage mit Hüft-/Kniewinkel bei gleichmäßigem Winkel
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Hocken, aber nur, wenn der Kopf bereits tief in Becken liegt. Diese Positionen werden bewusst gewählt, um die natürliche Schwerkraft zu nutzen und das Becken nicht durch Liegen zu blockieren.
Die verborgene Kraft der Geburtsreflexe
Bei einer Geburt wirken außerdem verschiedene Reflexe, die den physiologischen Ablauf unterstützen. Sie sind Teil der Natur – zuverlässig, kraftvoll und unabhängig von bewussten Entscheidungen. Der Ferguson-Reflex entsteht, wenn das Köpfchen des Babys auf den Gebärmutterhals drückt. Dadurch wird Oxytocin ausgeschüttet, das die Eröffnungsphase verstärkt und die Geburt vorantreibt. Der Fetus Ejection Reflex, beschrieben von Michel Odent, setzt in einer späteren Phase ein: Er wird durch den zunehmenden Druck des Babys ins Becken ausgelöst. Dabei werden Stresshormone wie Adrenalin freigesetzt, die die Gebärende plötzlich wach und aufmerksam machen. Gefühle von Überforderung können dabei ebenso auftreten wie eine Welle von Mut und Kraft. Dieser Reflex sorgt dafür, dass die Frau aktiv und präsent in den letzten Momenten der Geburt ist. Beide Reflexe unterscheiden sich von dem Entleerungsreflex, der die eigentlichen Presswehen auslöst und das aktive Mitschieben fördert.
Geburt ist kein reiner Kraftakt, sondern ein Zusammenspiel fein abgestimmter Reflexe, die dich auf natürliche Weise durch den Prozess tragen. Jede Kontraktion ist bedacht, zielgerichtet, changierend – ein Gespräch zwischen Körper, Baby und Gehirn.
Photo Credit: Die wunderschönen Bilder wurden uns freundlicherweise von Hannah Beil, Geburtsfotografie Heidelberg zur Verfügung gestellt.