Muttertät - Von der Frau zur Mutter
"When a baby is born, so is a mother."
Hätten wir damals gewusst, dass es den Begriff Muttertät gibt und was er bedeutet, wären wir wohl sehr viel gestärkter in unser Leben als Mama gestartet. Sobald du mit deinem Baby nach Hause kommst, steht deine Welt nicht nur still sondern auch kopf! Dein Körper ist weich, deine Seele auch und gleichzeitig reicht die Gefühlsskala von Überforderung, Verantwortungsbewusstsein und Angst bis hin zu Vollkommenheit, Liebe und unbändigem Stolz. Du wirst schon im Wochenbett mit ziemlich großer Sicherheit die Höhen UND Tiefen durchleben, die das Muttersein mit sich bringen und diese Ambivalenz ist total normal. Das ist sogar erstmal unabhängig von Babyblues oder einer Wochenbettdepression.
Denn von heute auf morgen befinden sich nicht nur deine Identität sondern dein ganzes Dasein im Wandel und das kann erstmal ganz schön überwältigend sein!
Mutter werden, schwanger sein, die Geburt - das alles sind sehr individuell geprägte Erfahrungen. Und doch gibt es universelle Aspekte, die nahezu jede Mutter betreffen. Wusstet ihr zum Beispiel, welch großen Veränderungen euch Gehirn durchläuft, wenn ihr Mutter werdet (*egal ob selbst geboren oder adoptiert)? Studien zeigen, dass das weibliche Gehirn sich im neuronalen Nervensystem enorm verändert, und das schon in der Empfängnisphase. Die Struktur des Gehirns verändert sich so massiv, dass ein MRT Bild die Unterschiede zwischen dem Gehirn einer Mutter und dem Gehirn einer Frau, die noch nicht Mutter ist, aufzeigen kann. Die neuralen Veränderungen sowie die damit verbundenen Emotionen sind verblüffend ähnlich mit den Veränderungen in der Pubertät! Die Pubertät nimmt die Gesellschaft als eine unangenehme Phase wahr, während die Zeit der Mutterschaft als eine Zeit des puren Glücks, der Unbeschwertheit und Vollkommenheit gesehen wird. Darauf stellen sich sehr viele Frauen ein und sind oft ganz überrascht von den immer währenden Stimmungsschwankungen und der Orientierungslosigkeit, die sie empfinden.
Die Anthropologin Dana Raphael hat für diesen Prozess schon 1973 den Begriff Matresence ins Leben gerufen. Es gibt nur wenige, aber einige ganz spannende Studien dazu. Es wird zwar merklich mehr über Matresence gesprochen, ist aber in der Medizin noch gänzlich unerforscht. Für den deutschsprachigen Raum haben Natalia und Sarah von den Schwesterherzen Doulas den Begriff “Muttertät” geprägt. Sie sind Expertinnen auf diesem Gebiet und haben schon unzählige Frauen in dieser Phase begleitet.
Muttertät wird definiert als eine Entwicklungsphase, die von der Empfängnis, über Schwangerschaft, Geburt und postnatale Zeit hinaus verläuft. Sie ist sehr individuell, wiederholt sich mit jedem Kind und kann ein Leben lang anhalten. Mutter werden ist nicht nur der Zeitpunkt, an dem du dein Baby im Arm hältst. "Werden" ist ein langer Prozess, der auch von negativen und unerwarteten Emotionen geprägt ist. Gesprochen darüber wird oft nicht, da Schuldgefühle und Enttäuschung häufig damit verbunden sind. Dabei sollten wir uns immer wieder klar werden, dass wir mit den Herausforderungen des Mutterwerdens nicht alleine sind. Zu verstehen, dass es Muttertät gibt, kann dir helfen deine Gefühle zu normalisieren, entstigmatisieren und Orientierung bieten.
Dieser TED Talk von Psychiaterin Alexandra Sacks gibt einen tollen Einblick ins Thema.
Unsere Erfahrungen
Auch wir haben uns beide schwer damit getan, in unsere Rolle als Mutter hineinzufinden. Wir waren vorher beide berufstätig, frei und haben unser selbstbestimmtes Leben sehr genossen. Wir haben uns zwar beide bewusst für Kinder entschieden, wussten aber bei Weitem nicht, wie sehr Kinder unser ganzes Leben auf den Kopf stellen würden. Wir waren eher die Sorte Paar, die sagten: “Bei uns wird sich nichts verändern wenn das Baby da ist (haha)”. Angefangen hat es damit, dass wir nicht, wie es überall suggeriert wird, diese Liebe auf den ersten Blick gespürt haben. Und das hat uns erstmal enorm verunsichert. Damals hat uns niemand gesagt, dass das eben auch ganz normal ist! Dazu kam dieses sofortige Gefühl von Verantwortung für dieses kleine, schutzlose Wesen. Neben der Verbundenheit zu unserem Baby und dem Glück, dass es und wir “gesund” waren, empfanden wir es als große Herausforderung, diesem kleinen Bündel gerecht zu werden. Ach ja, nicht zu vergessen die postnatalen Veränderungen, die unser Körper durchgemacht hat! Weicher, kalter Bauch, Rückbildung, Nachwirkungen vom Kaiserschnitt, Stillstart und Stillprobleme! Dazu ständig Bedürfnisse, die immer zu wenig Beachtung fanden! Und wir waren, wie alle frisch gebackenen Eltern immer so müde. SO müde. All das führte dazu, dass wir uns häufig die Fragen stellen: “Was mach ich hier eigentlich?”, “Mache ich das so richtig?” und “Warum klappt das bei mir nicht so gut wie bei den anderen?” und “Ok, mache ich jetzt nur noch das. Bin ich nur noch Mama”. All das führte dazu, dass wir in eine mehr oder weniger ausgeprägte Wochenbettdepression schlitterten. Was übrigens gar nicht so unüblich ist! Hätte wir das damals gewusst, dass ALL DAS so normal ist und dass wir damit nicht alleine sind - das hätte uns viel Last von den Schultern genommen! Wären wir auch all das nur halb so gut vorbereitet gewesen und hätten wir gewusst, dass es dafür einen Namen gibt, dann hätte uns die ambivalenten Gefühle, die Überforderung und die Hilflosigkeit nicht so sehr gepackt. Ein wirklich ehrlicher Austausch unter Müttern haben wir damals (wie heute) übrigens nur selten erlebt. Es war eigentlich immer “alles gut”.
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